Dieses Jahr bot die 15. Tagung für Allgemeinmedizin und Geriatrie wieder ein umfassendes und neuerlich sehr praxisrelevantes Programm. In gesamt 4 Vortragsblöcken erfolgten 11 z.T. intensive Vorträge zu wichtigen Themen der Geriatrie wie Malnutrition, Impfungen im Alter, Erkennung geriatrischer PatientInnen, ethische Entscheidungen u.v.m.
Der diesjährige Block der ÖGAM führte den Titel „10 Minuten pro Patient?!“ – bewusst gewählt zur Kontrastierung des Betreuungsaufwandes geriatrischer Patienten in der allgemeinmedizinischen Realität. Mit den 3 Kurzvorträgen: „Herr/Frau Doktor, so geht es einfach nicht mehr“, … „und dieses ständige Geistern in der Nacht“, „und dann auch noch diese Vergesslichkeit“ wurde auf 3 häufige Problematiken geriatrischer PatientInnen eingegangen. Durch die Vorträge führten Dr. Matthias Kölbl, FA für Innere Medizin und Geriatrie sowie Leiter der Notfallambulanz des Krankenhauses der Elisabethinen Linz, Dr. Bernhard Panhofer – Vizepräsident der ÖGPAM und langjähriger Allgemeinmediziner in Ungenach sowie Dr. Maria Wendler, Allgemeinmedizinerin mit Zusatzfachausbildung Geriatrie.
„Herr/Frau Doktor, so geht es nicht mehr …“
Gerade in seiner Funktion als leitender Facharzt der Notfallambulanz sieht sich Dr. Kölbl immer wieder damit konfrontiert, geriatrische und vor allem gebrechliche PatientInnen (Frailty-Syndrom) trotz des bestehenden Zeitdruckes der Notaufnahme, rasch und effizient zu erkennen, um deren erhöhter Vulnerabilität mit der geforderten Achtsamkeit zu begegnen.
Auch im Ordinationsalltag erleben wir es immer wieder, dass wir im Rahmen der kontinuierlichen Betreuung unserer PatientInnen zunehmende Schwierigkeiten im Alltag wahrnehmen, die einer Änderung im Umgang mit diesen PatientInnen bedürfen, oft jedoch durch das Umfeld unbemerkt bleiben oder als natürlicher „Alterungsprozess“ interpretiert werden. Diese zunehmend gebrechlichen Personen überschreiten irgendwann die Grenze zu einer – ihre Mortalitätsprognose relevant beeinflussenden – Frailty. Vielfach haben profunde Studien jedoch bewiesen, dass hinsichtlich Outcome, Prognose und Verlauf eine frühzeitige Identifizierung gebrechlicher PatientInnen notwendig ist, um bestehender Multimorbidität und funktionellen Defiziten zugunsten der Betroffenen mit individualisierten Behandlungs- und Versorgungsstrategien gegenübertreten zu können.
Mit einer Zusammenstellung an Kurzassessments präsentiert Dr. Kölbl einen einfachen und effektiven Weg innerhalb kürzester Zeit aus der großen Menge betagter PatientInnen, genau diejenigen herauszufiltern, die besonderer geriatrischer Aufmerksamkeit benötigen: Über einen einfachen Händedruck (oder besser das Vigorimeter), Fragen und Kenntnisse über Aktivitätsniveau, Gewichtsverlust und subjektiv wahrgenommener Erschöpfung (wobei hier die zwei als häufig oder oftmals angegebenen Aussagen „Alles was ich tat, war mühsam und anstrengend“ und „ich konnte mich zu nichts aufraffen“ zur Identifikation als geeignet gelten) gelingt bereits eine rasche Einschätzung nach den Fried-Frailty-Kriterien, welche sich in vielerlei Hinsicht mit jenen der Sarkopenie (reduzierte Muskelmasse, reduzierte Muskelkraft, geringes körperliches Aktivitätsniveau) überschneiden. Ergänzend empfohlen der Chair-rising- bzw. der Timed-up-and-go-Test und die Balanceüberprüfung mittels (Semi-)Tandemstand. Für die kognitive Testung klar favorisiert ist der „Mini-Cog“ oder der „schnelle Uhren-Dreier“ – hier muss die zu testende Person 3 Worte wiederholen und wiedergeben, nachdem sie zur Ablenkung eine Uhr zeichnen musste.
Abgesehen von einem fakultativen Vigorimeter benötigt es nicht mehr als Papier, Stift, Stuhl, etwas Platz und einer Uhr zur Identifikation gebrechlicher PatientInnen. Auf die Relevanz von Gewichtsverlust, Sarkopenie und Malnutrition ging in einem weiteren Vortrag eines anderen Blockes dann noch Dr. Miriam Leitner von der medizinischen Universitätsklinik Wien (klin. Abteilung f. Endokrinologie und Stoffwechsel) ein.
„… und dieses ständige Geistern in der Nacht“
„Ein weiteres häufiges Thema bei älteren Personen ist ein gestörter Nachtschlaf oder auch nur die gestörte Wahrnehmung, wie viel und was ein ausreichender Nachtschlaf ist. Oftmals gehen auch ältere Menschen von einem viel zu hohem Ruhebedürfnis aus, mit zunehmendem Alter scheint jedoch das Schlafbedürfnis zu sinken. Nicht selten ist es eine falsche Vorstellung der ausreichenden Schlafphase, die bereits zu Anspannungen in der Nacht führt und mitunter die Schlafqualität wieder beeinträchtigt“, konstatiert Dr. Panhofer. Viel zu leicht ist es, bei gegebenem Zeitdruck medikamentös zu intervenieren, anstatt zuerst ausführliche Anamnese und Aufklärung zu betreiben. Gerade wenn das Klagen der Angehörigen hoch ist, dass Betroffene in der Nacht durchs Haus „geistern“, ist – nach Ausschluss relevanter Ursachen für die unruhigen Nächte – häufig die Aufklärung der Angehörigen wichtiger als eine medikamentöse Therapie.
Als relevantester Faktor zur Unterscheidung zwischen einem verminderten Ruhebedarf in der Nacht und einer tatsächlichen Schlafstörung wird die darauffolgende Tagesmüdigkeit genannt. Erst wenn diese subjektiv den Morgen bzw. den Tag beeinträchtigt, also ein nicht erholsamer Nachtschlaf vorliegt, ist die Definition einer Schlafstörung erfüllt. Zu den wichtigsten Fragen der Anamnese zählen auch die eigene Erwartungshaltung für den Nachtschlaf (notwendige Dauer), Schlafhygiene und Verhaltensweisen vor dem Zubettgehen sowie die Rückmeldungen durch Angehörige.
Vor der medikamentösen Therapie gibt es verschiedenste Möglichkeiten, vielleicht auch anders, zu einer besseren Schlafqualität zu kommen, allen voran ist hier die richtige Schlafhygiene zu nennen. Gerade bei Betroffenen mit demenzieller Entwicklung ist hier eine gute Tagesstrukturierung mit Vermeidung überlanger Ruhezeiten tagsüber zur Verhinderung einer Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus von Relevanz. Auch autosuggestives Training („Ruhe wichtig, Schlaf gleichgültig“) kann zu einem verbesserten Einschlafen verwendet werden.
„… und dann auch noch diese Vergesslichkeit“
Die Entwicklung kognitiver Defizite ist oftmals schleichend progredient, akute Verwirrtheit und Verhaltensänderungen bedürfen immer auch einer adäquaten Abklärung, das Delir als wichtigster Vertreter plötzlicher Verwirrtheitszustände bei geriatrischen Patienten hat meist einen oder mehrere Auslöser bei oftmals auch vorbestehender erhöhter kognitiver Vulnerabilität. Allen voran sind hier akute Erkrankungen und deren Folgen (z.B. Schmerzen, Exsikkose) und Änderungen in der medikamentösen Therapie zu nennen. Demenzielle Entwicklungen hingegen sind oftmals schleichend und lange durch entsprechende Routine im Alltag und im gewohnten Umfeld kompensiert. Nicht selten sind diese Defizite jedoch bereits für die Beziehung mit den Angehörigen belastend, die verminderte Kognition jedoch als „altersentsprechend tolerabel“ hingenommen – bis die Situation letztendlich eskaliert. Oftmals rasch wahrgenommen werden zunehmend starre Verhaltensweisen, fehlende Flexibilität im Alltag gegenüber neuen Situationen, sozialer Rückzug, vermehrtes Ruhebedürfnis, fehlende zeitliche Orientierung oder Vergesslichkeit über rezent Geschehenes oder Besprochenes sowie Vorwürfe wegen selbst verlegter Gegenstände.
Nicht selten geschieht es dann, dass betroffene Angehörige ihr Leid dem betreuenden hausärztlichen Team (manchmal auch nur an der Rezeption der Ordination) beklagen, doch auch hier ist Hellhörigkeit gefragt, da man nicht immer weiß, ob nur die subjektive Wahrnehmung Angehöriger oder tatsächlich eine demenzielle Entwicklung dahintersteckt?
Klagen von Angehörigen sind in diesem Bereich durchaus ernst zu nehmen, oftmals stimmt der subjektive Eindruck. Mit gezielten Fragen, wie z.B. im IQCODE 7 vorliegend, lassen sich diese subjektiven Wahrnehmungen eventuell auch objektivieren und eine fragliche demenzielle Entwicklung konkretisieren. Fest steht jedoch: Eine weitere Diagnostik und Evaluation ist ohne den Betroffenen selbst nicht möglich. Auch hier kann eine Erstevaluation, z.B. mit einem Mini-Cog, durchgeführt werden, eine vertiefende Testung mittels MMSE oder MoCA (Montreal Cognitive Assessment) ist ebenfalls möglich. Da es jedoch nicht immer einfach ist, den Betroffenen selbst entweder in die Ordination oder aber auch zu einer Testung zu bewegen, ist hier überbrückend oft die Aufklärung und Kooperation der Angehörigen notwendig. Ein offenes Ansprechen der Problematik mit den Betroffenen ist durchaus vertretbar. Als einleitende Fragen werden hier z.B. in der Schweiz im Rahmen des BrainCheck© von Dr. Ehrensperger folgende Fragen verwendet:
- Haben Sie in der letzten Zeit erlebt, dass Ihre Fähigkeit sich neue Dinge zu merken, nachgelassen hat?
- Haben Angehörige oder Freunde Bemerkungen gemacht, dass Ihr Gedächtnis schlechter geworden sei?
- Sind Sie in Ihrem Alltag durch Gedächtnis- oder Konzentrationsschwierigkeiten beeinträchtigt.
Oft sind sich letzten Endes die Betroffenen ihrer Defizite bewusst und wollen selbst eine Erklärung für dieselben.
15. Tagung für Allgemeinmedizin und Geriatrie,
30. September 2016, Wien.
Dr. Maria Wendler
Review: Dr. Matthias Kölbl, Dr. Bernhard Panhofer