Immer wieder hört man von jungen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich für den Beruf der Allgemein- und Familienmedizin deshalb entscheiden, weil sie dieses Fach bereits im Studium kennen lernen durften und dort Begeisterung dafür entwickeln konnten. Manche Studierende kommen hier erstmalig mit Allgemeinmedizin (AM) in Kontakt. Mit der Ausbildung NEU, in der erst am Ende die Lehrpraxis steht, gibt es nun keine (offiziell vorgesehene) Möglichkeit mehr, nach Ende des Studiums vor Entscheidung über die Fachrichtung in die Allgemeinmedizin „hineinzuschnuppern“. Umso wichtiger erscheint daher der Kontakt zur Allgemeinmedizin im Studium. Doch auch die Studienpläne an den verschiedenen medizinischen Universitäten und Fakultäten sind unterschiedlich:
Wie kommen derzeit Studierende mit Allgemeinmedizin an ihrer Uni in Kontakt?
Graz: Allgemeinmedizin ist Bestandteil der verpflichtenden Lehre, im ersten Studienjahr erfolgt eine (sehr dürftige) Einführung in die Allgemeinmedizin, später besteht die fachliche Teilnahme an einzelnen Pflicht-Modulen (Modul „Sozialmedizin“, „Entwicklung, Wachstum, Reifung“ und „Spannungsfeld Persönlichkeit“). Zusätzlich bietet die AM ein eigenes Wahlmodul („SSM 40“) an, welches sich aufgrund der hochmotivierten Lehrärzte der MUG hoher Beliebtheit erfreut. Im klinisch-praktischen Jahr (KPJ) absolviert jede/r eine Pflichtfamulatur (vier Wochen AM mit Begleitseminar), eine freiwillige Verlängerung um vier Wochen ist hier möglich.
Innsbruck: Auch hier gibt es in den Semestern 1–4 praxisorientierte Vorlesungen; Allgemeinmedizin ist ebenfalls mit vier Wochen im klinisch-praktischen Jahr vertreten. Zusätzlich existiert „AMPOL“ – „AllgemeinMedizin/Problem-Orientiertes Lernen“.
Linz: An der medizinischen Fakultät der JKU Linz soll regelmäßiger, intensiver Kontakt mit AM stattfinden. Die Studierenden absolvieren im fünften Semester eine Einführungsvorlesung, im sechsten und achten Semester sind jeweils ein zweiwöchiges Modul Allgemeinmedizin vorgesehen. Während des Studiums (Semester 5–10) sind begleitend Track-Praktika etabliert, diese werden zu ca. 90% von allgemeinmedizinischen Lehrenden geleitet. Im KPJ sind vier Wochen Allgemeinmedizin verpflichtend.
Salzburg: Der Kontakt mit AM läuft vom ersten bis zum letzten Studienjahr. Im Rahmen von Lehrveranstaltungen finden in den ersten beiden Studienjahren Praktikumstage in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen statt. Im fünften Studienjahr verbringen alle Studierenden vier Wochen des KPJ in der AM-Lehrpraxis. Darüber hinaus sind erfahrene Allgemeinmediziner als externe Lehrärzte in Lehrveranstaltungen eingebunden.
Wien: Vom ersten bis zum siebten Semester haben alle Studierenden mit allgemeinmedizinischen Lehrinhalten als „Line Element“ (z.B. ärztliche Gesprächsführung – Fallbeispiele aus der Ordination) oder auch in verpflichtenden Kleingruppenseminaren in den Lehrblöcken punktuell Kontakt (z.B. Block 6 mit Familienmedizin und Hausbesuche). Eine Fachvorstellung findet in einer der „Grand Rounds“ statt. Die verpflichtende Famulatur AM (für zwei Wochen) kann und wird auch oft in einer Spitalsambulanz absolviert, im klinisch-praktischen Jahr ist Allgemeinmedizin ein Wahlfach.
Welches ist der frühestmögliche Zeitpunkt in eine Lehrpraxis für Allgemeinmedizin Einblick zu bekommen? Soll Allgemeinmedizin für alle Studierenden verpflichtend sein?
Graz: Eine Famulatur für AM ist im ersten und zweiten Studienabschnitt bis max. vier Wochen in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis der medizinischen Universität möglich und kann auch durch das Institut vermittelt werden. Spätestens im KPJ kommen ALLE Studierenden insgesamt vier Wochen mit der Allgemeinmedizin in Kontakt. Dies ist zum Kennenlernen des Faches immens wichtig.
Innsbruck: Eine Famulatur in AM ist nach dem ersten Abschnitt möglich. Durch die verpflichtende Vorlesung und KPJ kommen ALLE Studierenden mit AM in Kontakt und können die Algorithmen der Allgemeinmedizin kennen lernen.
Linz: Auch hier ist über das verpflichtende KPJ ein Kontakt zu einer AM-Lehrpraxis für ALLE Studierenden gegeben. Durch die Stärke des Track-Praktikums ist jedoch auch ein hoher allgemeinmedizinischer Input beinahe permanent begleitend zum Studium vorhanden. Eine Famulatur ist ab der Famulaturreife nach dem vierten Semester möglich.
Salzburg: Durch den verpflichtenden Praktikumstag ist bereits im ersten Studienjahr der Kontakt mit einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis gegeben. Der Kontakt zur Allgemeinmedizin ist für ALLE Studierenden wichtig – zum einen um Studierende für die Tätigkeit als Ärzte für Allgemeinmedizin zu gewinnen, und zum anderen um zukünftig eine noch bessere sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Wien: Da Allgemeinmedizin auch im KPJ ein Wahlfach ist, kann das Studium in Wien abgeschlossen werden, ohne eine Lehrpraxis betreten zu haben, es sind nur theoretische Inhalte verpflichtend. Auch freiwillige Famulaturen sind natürlich möglich. Wichtig wäre selbstverständlich ein Kennenlernen der Allgemeinmedizin für alle Studierenden – verpflichtend.
Welche Nachteile gibt es bei diesem Studienplan?
Graz: Das Kennenlernen der Lehrpraxis für Allgemeinmedizin findet erst spät im Studium statt. Die allgemeinmedizinische Lehre am Campus ist relativ spät vertreten, es ist uns ein dringendes Anliegen, bereits zu Beginn des Studiums unseren „Fuß in die Tür“ zu bekommen, sowohl in Form von Theorie als auch (Lehr-)Praxis.
Innsbruck: Vorteil ist in Innsbruck ein früher Kontakt in der Vorlesung, der hohe personelle Aufwand für die Vorlesung bei fehlender Infrastruktur (keine Institutionalisierung) bleibt Herausforderung.
Linz: Durch das geplante Track-Praktikum und die gleichwertige Stärke zu den anderen Fächern (ebenfalls ein in Summe vierwöchiges Modul) besteht laufender Kontakt mit AM, bei bestehender Entwicklung sind derzeit keine Nachteile wahrzunehmen.
Salzburg: Es besteht das Bestreben Allgemeinmedizin von Beginn bis Abschluss des Studiums präsent zu halten. Die Integration von Praktikumstagen für alle Studierenden in mehreren Lehrveranstaltungen bereits zu Studienbeginn bedeutet natürlich einen relevanten organisatorisch-administrativen Aufwand, der angesichts der durchwegs positiven Rückmeldungen jedoch gerne in Kauf genommen wird.
Wien: Studierende können das Studium beenden, ohne Allgemeinmedizin in einer Lehrpraxis kennen gelernt zu haben, dies sollte dringend geändert werden. Die personellen Ressourcen sind in
Wien extrem knapp (zwei Stellen wurden nicht nachbesetzt), trotzdem gelingt es nach wie vor allgemeinmedizinische Diplomarbeiten (vier bis sechs Stück jährlich) zu betreuen.
Besteht der Eindruck, dass Allgemeinmedizin von den anderen klinischen Fächern (noch immer) nicht ernst genommen wird?
Graz: Ja, aber durch das Bekenntnis der Medizinischen Universität Graz ein Institut für Allgemeinmedizin zu gründen, wurde hier ein wichtiger Schritt gesetzt. Es bedarf einer ständigen Kommunikation mit den klinischen Fächern, um sich zu behaupten. Unsere Devise ist es mit unserem neu gegründeten Forschungspraxisnetzwerk, guter praxisrelevanter und valider Forschung und Publikationen sowie qualitativ hochwertigen Diplomarbeiten Schritt für Schritt und kontinuierlich dafür zu sorgen, dass AM als ernstzunehmendes Fachgebiet wahrgenommen wird.
Innsbruck: Teilweise ja, tendenziell wird es jedoch besser, vor allem sind aber alle mit sich selbst und den Folgen der knappen Ressourcen beschäftigt.
Linz: Nein, in Linz wird Allgemeinmedizin von allen anderen Fächern als gleichwertig akzeptiert und wahrgenommen und ist auch gleichwertig im Lehrplan vertreten.
Salzburg: Ein Großteil der derzeit in klinischen Fächern tätigen und lehrenden MedizinerInnen hat im Zuge der eigenen Ausbildung den Bereich Allgemeinmedizin nicht kennen gelernt. Aus diesem Grund ist die Ausbildung im Fach Allgemeinmedizin für alle Studierenden aus oben genannten Gründen wichtig.
Wien: Die Größe der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin könnte ein Indiz dafür sein …
Sind Diplomarbeiten für Allgemeinmedizin vorgesehen? (Und wie viele wurden bereits geschrieben?) Ist diese Zahl ausbaufähig?
Graz: Bereits vor Institutsgründung gab es Diplom- und Masterarbeiten mit Inhalten aus der Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung. Seit Institutseröffnung im Jahr 2015 wurde eine Diplomarbeit abgeschlossen, weitere vier Diplomanden haben ihre Arbeit begonnen. Es gibt großes Interesse seitens der Studierenden, es wird daher eine zunehmende Zahl an Diplomarbeiten erwartet, wobei wir intern – aus Kapazitätsgründen, und um die Qualität nicht zu mindern – eine genaue Selektion durchführen müssen.
Innsbruck: Wir haben sieben abgeschlossene Diplomarbeiten, sieben Diplomarbeiten sind derzeit in Betreuung. Interesse besteht, die Ressourcen sind derzeit jedoch ohne Institut am Limit.
Linz: Es wird sowohl die Möglichkeit der Bachelor- als auch der Diplomarbeiten geben.
Salzburg: Zwischen 2009 und 2016 wurden sechs Diplomarbeiten abgeschlossen. Aufgrund der Ressourcen sind derzeit ein bis zwei Arbeiten/Studienjahr betreubar. Diese Zahl wäre bei Anfrage und entsprechenden Ressourcen noch ausbaufähig.
Wien: In Wien werden trotz der knappen Ressourcen vier bis sechs Diplomarbeiten jährlich betreut, d.h. in den letzten Jahren wurden ca. 60 Diplomarbeiten abgeschlossen. Rein vom Interesse her wäre diese Zahl noch sehr ausbaufähig, es melden sich pro Jahr ca. 20 Interessentinnen und Interessenten in der Abteilung, durch die fehlenden personellen Ressourcen sind hier jedoch leider regelmäßig Absagen zu erteilen.
Was wäre der größte Wunsch zur Verbesserung der Allgemeinmedizin an den österreichischen Universitäten? Und an der eigenen Uni?
Graz: Generell gesprochen: die Schaffung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin an allen medizinischen Universitäten und mehr Bewusstsein für die Fachinhalte in der medizinischen Kollegenschaft und breiten Öffentlichkeit in Österreich zu erreichen. Schön wäre es natürlich, wenn die Studierenden möglichst früh in einem zusätzlichen mehrwöchigen Praktikum (verpflichtend für alle Studierenden) in eine hausärztliche Praxis eingebunden wären.
Innsbruck: Guter Ausbau der Infrastruktur, Institute und Lehrstühle für Allgemeinmedizin an allen medizinischen Universitäten und Fakultäten. Innsbruck ist hier vorneweg zu nennen.
Linz: Die rasche Schaffung eines Instituts für AM und Besetzung des Lehrstuhles ist hierbei für Linz besonders wichtig.
Salzburg: Eine Verbesserung der öffentlichen Fördermöglichkeiten für die Umsetzung allgemeinmedizinischer Versorgungsforschung und flexiblere Möglichkeiten die klinisch-praktische Tätigkeit mit der Forschung und Lehre in der akademischen Allgemeinmedizin zu verbinden. Darüber hinaus sind die Fortführung der guten Zusammenarbeit mit den allgemeinmedizinischen Lehrpraxen und der Ausbau der studentischen Diplomarbeiten in der allgemeinmedizinischen Versorgungsforschung Ziele an der PMU.
Wien: Ein personeller Ausbau der Abteilungen, verpflichtende Famulatur und KPJ für AM an allen Universitäten mit medizinischer Lehre, eine spezielle Forschungsförderung für den Primärversorgungsbereich (auch aus öffentlicher Hand). Auch oder vor allem in Wien.
r. Maria Wendler, Obfrau der JAMÖ
Es antworteten für die Universitäten:
- Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch und Dr. Ulrike Spary-Kainz, IAMEV/MedUni Graz
- Dr. Herbert Bachler, MedUni Innsbruck
- Dr. Erwin Rebhandl, Medizinische Fakultät JKU Linz
- Univ.-Prof. Dr. Maria Flamm, MPH PMU Salzburg
- Ass.-Prof. Dr. Kathryn Hoffmann MPH, Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin, MedUni Wien